Camouflage im Eichkamp
Berliner Familienresidenz von Atelier ST
In der Berliner Eichkamp-Siedlung hat Atelier ST ein Haus entworfen, das sich tarnt und zugleich zeigt. Außen ist es grün wie das Laub des Grunewalds, innen wartet ein Kokon aus Holz. Das Familiendomizil namens Greenkamp ist außerdem eine Hommage an Bruno Taut.
Die besondere Lage der Berliner Eichkamp-Siedlung verleiht ihr den Charakter einer abgeschiedenen Insel. Zu einem ihrer Ufer wird der Damm der Ringbahn im Norden, hinter dem sich das Messegelände anschließt. Im Osten rauscht die Avus vorbei, im Süden und Westen breitet sich der Grunewald aus. Wer hineinwill, nimmt eine der wenigen Zufahrten – und findet sich in einer Werkschau der bekanntesten Berliner Architekten der 1920er-Jahre wieder. Max und Bruno Taut haben hier gebaut, ebenso Franz Hoffmann, Martin Wagner und Wilhelm Büning. Max Taut wohnte sogar selbst in der Siedlung: im Eckhaus zwischen Lärchen- und Eichkatzweg. „Ein lichtes Berliner Dörfchen mit kindlich-schlichten Straßen und Häuschen“, schrieb einst der Philosoph Ludwig Marcuse. „Das Dorf der Prominenten“, titelte die Berliner Morgenpost. Die Ein- und Zweifamilienhaussiedlung, zentrumsnah und zugleich dörflich, ist bis heute so beliebt, dass es kaum noch Baugrund gibt. Eine freie Parzelle fand sich jedoch eine Straße südlich von Tauts ehemaligem Wohnhaus, am Maikäferpfad. Sie wurde Standort eines Hauses für eine sechsköpfige Familie, geplant von Atelier ST aus Leipzig.
Grün im Grünen
Das Greenkamp ist auffällig unauffällig. Die mit dunkelgrünem, mineralischem Kalk verputzte Fassade und das mit vorpatinierten Keramiksteinen gedeckte Dach fügen sich zurückhaltend zwischen die alten Laubbäume. Die Architektursprache versteht sich als sensibles Echo auf den Bestand: Sie greift die traditionellen Typologien der Siedlung auf und orientiert sich mit ihrem kompakten Volumen und der quadratischen Grundform mit Zeltdach an den Nachbarhäusern. Deren Kubaturen sind einfach und funktional, vermeiden aber sowohl städtebauliche als auch individuelle Monotonie. Eingebettet in die Natur und erschlossen durch leicht geschwungene Straßen, finden sich immer wieder Elemente des Art déco: runde und halbkreisförmige Details oder horizontal angeordnete Rechteckornamente. Beim Greenkamp sind es vor allem die Fenster, die augenzwinkernd mit jeder Gleichförmigkeit brechen. Die Front des von der Straße zurückgesetzten Baus wird durch ein Bogenfenster, ein Bullauge und eine zweiflügelige Rundbogentür mit rautenförmigen Sprossen gegliedert. In der ersten Etage strukturieren hochformatige Fenster das Fassadenbild. Das Dachfenster ist als Aufbau ausgebildet, der an eine kleine Kommandobrücke erinnert.
Ein Herz aus Holz
Im Inneren offenbart das Gebäude seine eigentliche Identität. Denn anders, als die äußere Erscheinung vermuten lässt, handelt es sich beim Greenkamp um einen konsequenten Holzbau. Wände und Decken sind naturbelassen und unverkleidet, zeigen eine lebendige Maserung und bestimmen die stille, warme Präsenz des Raums. Das Interieur umschließt Bewohner*innen und Gäste wie ein hölzerner Kokon. Es nimmt das einfallende Tageslicht auf, färbt es golden und verleiht dem Raum eine spürbare Ruhe. Auch die Einbauten wurden in Holz ausgeführt, wodurch ein homogener, handwerklich klarer Gesamteindruck entsteht. Einen Gegenpol zur honigfarbenen Hülle bildet der Boden aus schwarzem Gussasphalt, der die Räume visuell erdet. So ehrlich und offen wie die Materialität ist auch das Layout, das über die Etagen hinweg fließend ineinandergreift. Gesteuerte Sichtachsen und gezielt gesetzte Rückzugszonen schaffen Verbindungen oder ermöglichen Privatsphäre.
Salle séparée
Ein klassisches Foyer empfängt die Besuchenden und führt sie direkt zum Herzstück des Hauses. Über eine halbe Treppe gelangt man hinunter in die Küche mit Essplatz und Gartenanschluss. Von hier geht es wieder hinauf in den eigentlichen Wohnraum. „Salle séparée“ haben ihn die Architekt*innen getauft: Es ist ein Refugium zum Lesen, für Gespräche oder zum Musikhören, das mit Kaminofen und Panoramafenster geradezu zur Kontemplation einlädt. Die beiden darüberliegenden Geschosse – die erste Etage und der Dachboden – beherbergen die privaten Bereiche der Familie: Schlafräume, Spiel- und Kinderzimmer, Arbeitszonen und Bäder. Bei ihrer Gestaltung hat Atelier ST den Rundbogen zu einem durchgängigen Architekturmotiv gemacht. Alle Türen schließen oben mit einem Halbkreisbogen ab, ausgeführt in schwarz gebeizter Eiche. So entsteht trotz des reduzierten Materialeinsatzes ein spannungsvolles Raumgefüge, das über die vielen Fenster auch die Natur des Gartens und des Standorts zu einem lebendigen Bestandteil des Interiors macht.
FOTOGRAFIE Clemens Poloczek Clemens Poloczek
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